Festtagswünsche der Aargauer Delegation im Bundeshaus
24. Dezember 2024Die Schweiz steht erneut an einem entscheidenden Punkt in ihrer Beziehung zur Europäischen Union. Nach Jahren der Verhandlungen liegt mit dem neuen Verhandlungsergebnis im Rahmen des Paketansatzes ein Abkommen vor, das nicht nur unsere wirtschaftliche Stärke und politische Stabilität sichert, sondern auch essenziell für unseren Wohlstand ist. Es ist eine Chance, die wir nutzen müssen – und eine Notwendigkeit, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, unseren Platz im europäischen Markt zu verlieren.
Der Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist für viele Schweizer Produktionsbetriebe eine Existenzfrage. Produktionsunternehmen in spezialisierten Branchen sind darauf angewiesen, ihre Produkte in ausreichenden Serien zu produzieren und auf den europäischen Markt zu bringen. Ohne diese Möglichkeit könnten viele Betriebe ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht erhalten, und der Standort Schweiz wäre gefährdet. Als Unternehmer mit 30 Jahren Erfahrung in einer hochspezialisierten Branche kenne ich diese Abhängigkeit aus erster Hand. Dies betrifft Hunderte oder sogar Tausende von Unternehmen, die mit spezialisierten Produkten arbeiten und von einem ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt abhängen.
Das Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) ist dabei essenziell. Es verhindert zusätzliche Handelshemmnisse und teure Prüfverfahren, die besonders kleinere Betriebe belasten würden. Diese Klarheit und Effizienz sichern Arbeitsplätze und stärken die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft.
Ein weiteres zentrales Element ist das Stromabkommen, das endlich Rechtssicherheit für die enge Verflechtung des Schweizer Stromsystems mit dem europäischen Markt schafft. Die Schweiz ist physikalisch und geografisch stark in das europäische Stromnetz integriert, jedoch ohne rechtliche Absicherung. Das neue Abkommen ermöglicht der Schweiz, gleichberechtigt am europäischen Strombinnenmarkt teilzunehmen und Handelsplattformen sowie wichtige Gremien für Netzstabilität, Versorgungssicherheit und Krisenvorsorge zu nutzen. Besonders bedeutend ist, dass Schweizer Wasserkraft weiterhin vollständig eigenständig geregelt werden kann. Gleichzeitig wird die Versorgungssicherheit gestärkt, da Exportbeschränkungen von Strom an die Schweiz ausdrücklich ausgeschlossen sind. Dies ist ein enormer Fortschritt, gerade angesichts der Energiekrisen, die Europa in den letzten Jahren erschüttert haben.
Eine oft geäußerte Sorge gegenüber den neuen Abkommen ist die vermeintliche Gefahr für die Schweizer Demokratie durch „fremde Richter“. Diese Sorge ist unbegründet. Streitfragen werden durch ein paritätisches Schiedsgericht gelöst, bei dem die Schweiz und die EU gleichberechtigt vertreten sind. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird lediglich zur Auslegung von EU-Recht hinzugezogen, die endgültige Entscheidung bleibt jedoch beim Schiedsgericht. Auch die dynamische Rechtsübernahme betrifft ausschließlich jene Bereiche, in denen die Schweiz am EU-Binnenmarkt teilnimmt. Für den Schweizer Binnenmarkt gibt es keine Verpflichtung, EU-Recht zu übernehmen, und jede Änderung unterliegt weiterhin dem demokratischen Entscheidungsprozess – das Schweizer Volk hat stets das letzte Wort.
Die Schweizer Beiträge an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten sind ebenfalls Teil des Abkommens. Seit 2007 beteiligt sich die Schweiz daran, wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten in Europa zu verringern und gemeinsame Herausforderungen wie Migration zu bewältigen. Dabei fließen die Gelder nicht ins EU-Budget, sondern direkt in konkrete Projekte in Partnerländern. Die Schweiz setzt eigene Schwerpunkte und stellt sicher, dass die Mittel zielgerichtet eingesetzt werden. Dieser Beitrag fördert die Stabilität in Europa, von der die Schweiz durch ihre Verflechtung mit dem Binnenmarkt direkt profitiert.
Die Teilnahme an EU-Forschungs- und Innovationsprogrammen bleibt ein weiterer wichtiger Aspekt. Der Ausschluss aus solchen Programmen würde die Innovationskraft und den wissenschaftlichen Fortschritt der Schweiz langfristig gefährden. Mit den neuen Abkommen bleibt die Schweiz ein aktiver Teil des europäischen Wissenschaftsnetzwerks, was nicht nur der Forschung, sondern auch der Wirtschaft zugutekommt.
Die neuen bilateralen Abkommen sind keine Experimente, sondern die konsequente Weiterentwicklung des erfolgreichen bilateralen Wegs, den die Schweiz seit den Abkommen I und II verfolgt. Diese früheren Abkommen haben uns Wohlstand, Stabilität und Innovation gebracht. Es liegt an uns, diese Errungenschaften zu sichern und auszubauen.
Ein Nein zu den neuen bilateralen Abkommen wäre ein Schritt in die Isolation. Wir riskieren den Zugang zu einem Markt mit über 450 Millionen Konsumenten, gefährden Arbeitsplätze und reduzieren unsere Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig würden wir uns von Lösungen in Energie, Forschung und Sicherheit abkoppeln, die für die Zukunft essenziell sind.
Die neuen bilateralen Abkommen sind eine pragmatische Lösung, die wirtschaftliche Sicherheit mit politischer Unabhängigkeit verbindet. Sie schaffen klare Regeln, stärken die Schweizer Interessen und gewährleisten, dass unser Land weiterhin stabil, innovativ und wohlhabend bleibt. Diese Chance dürfen wir nicht ungenutzt lassen.
Andreas Meier
Veröffentlicht in der Zeitung DIE BOTSCHAFT